Wilhelm Kraft

Nach Wilhelm Kraft, der von 1884 bis 1945 lebte, ist unsere Schule benannt.

Wilhelm Kraft, von Beruf Glasschleifer, war von 1919 bis 1932 Bürgermeister in Haßlinghausen, damals eine selbstständige Gemeinde und heute der Ortsteil von Sprockhövel, in dem die Wilhelm-Kraft-Gesamtschule liegt.

Wilhelm Kraft war ein sehr beliebter Bürgermeister und zeichnete sich durch seine aufrechte und unbeugsame Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus aus.

Eine Übersicht über die wichtigsten Lebensdaten Wilhelm Krafts verzeichnet die in der Schule anlässlich der Namensgebung aufgehängte Gedenktafel.

Wilhelm Kraft (1884 – 1945)

1884

    Geboren in Breitenstein (heute Sachsen-Anhalt

1907

    Heirat mit Franziska von Reth

1908

          Übersiedlung nach Haßlinghausen

    Arbeitete als Glashüttenarbeiter

1920

    Tätigkeit in der Gemeindevertretung Haßlinghausen aufgenommen

1919

    Gemeindevorsteher (Bürgermeister) in Haßlinghausen

1921

    Ehrenamtlicher Beigeordneter des Amtes Haßlinghausen und Vertreter im Schwelmer Kreistag

1932

    Rücktritt vom Amt des Gemeindevorstehers

1933

    Mit der Machtübernehme Hitlers Verlust aller politischen Ämter und Entlassung als Filialleiter eines Konsum-Genossenschaftsbetriebs, den er seit Beginn der 20-er Jahre leitete

1934

    Verhaftung wegen des Verdachst des Hochverrats

1935

    Verurteilung zu einem Jahr und acht Monaten Zuchthaus

1936

    Entlassung aus der Haft. Ablehnung der angetragenen Mitgliedschaft in der NSDAP

1944

    Nach Attentat auf Hitler (am 20. Juli 1944) erneute Verhaftung. Ein Gevelsberger Augenzeuge berichtet von der Inhaftierung im KZ Sachsenhausen.

1945

    Im April 1945 wird das Lager teilweise geräumt. In einem so genannten Todesmarsch treibt die SS die entkräfteten Häftlinge vor sich her. Hunderte von Erkrankten, die nicht mehr weiter konnten, wurden erschossen, darunter Wilhelm Kraft.

1952

    Am 23. Juni 1951 wurde im Sitzungssaal des Haßlinghauser Amtshauses im Auftrage der Amtsversammlung Haßlinghausen (zugehörige Gemeinden: Haßlinghausen, Hiddinghausen, Gennebreck, Linderhausen) ein Foto von Wilhelm Kraft angebracht.

1960-er Jahre

    Benennung einer Straße in einem Neubaugebiet in zentraler Lage in Haßlinghausen nach Wilhelm Kraft.

2006

    Zum 1. Januar 2006 erhält die Gesamtschule des Ennepe-Ruhr-Kreises den Namen „Wilhelm-Kraft-Gesamtschule des Ennepe-Ruhr-Kreises.

 

Wilhelm Kraft (mit vollem Namen Heinrich Wilhelm Kraft) wurde am 28.10.1884 in Breitenstein, Kreis Sangerhausen, (heute Sachsen-Anhalt) geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist bisher nicht mehr bekannt. (Vielleicht werden aber noch weitere Informationen durch laufende Nachforschungen bekannt werden.) Als 20-Jähriger trat er der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bei.

1908 übersiedelte Wilhelm Kraft nach Haßlinghausen, das damals noch eine selbstständige Gemeinde war. (Erst 1970 wurde Haßlinghausen im Zuge einer Gemeindereform ein Stadtteil von Sprockhövel.)

Der erste Sohn Wilhelm wurde 1908 bereits in Haßlinghausen geboren, wo Wilhelm Kraft als Glashüttenarbeiter Beschäftigung gefunden hatte. Die Familie wohnte zunächst in einer der Glashüttenarbeiterwohnungen an der heutigen Mittelstraße, bevor sie ein eigenes Haus in der Oberschwenke bezog. Die Haßlinghauser Glashütte gehörte mit über 100 Mitarbeitern zu den Großbetrieben im Kreis Schwelm und war nach Schließung der Zeche Deutschland 1925 jahrzehntelang der größte Betrieb im Amt Haßlinghausen.

Wilhelm Kraft um 1930 mit Verkäuferinnen im Konsum Haßlinghausen

Den Aufzeichnungen der Kraft-Tochter Grete Roland zufolge wurde Wilhelm Kraft als aktiver Gewerkschafter nach einem Streik auf der Glashütte entlassen. Der Vater von mittlerweile drei Kindern fand – der Zeitpunkt ist nicht mehr exakt zu ermitteln – spätestens zu Beginn der 20-er Jahre eine Anstellung als Filialleiter der Konsum-Genossenschaft „Vorwärts“ in Haßlinghausen. Konsum-Vereine, von Arbeitern gegründete Genossenschaften, ermöglichen ihren Mitgliedern die preiswerte Beschaffung von Lebensmitteln, da sie keinen Gewinn erwirtschafteten bzw. diesen zum Jahresende wieder an die Mitglieder ausschütteten. Die Verkaufsstelle Nr. 29 befand sich am Wechtenbruch und beherbergt heute eine Getränkeladen.

Verkäuferinnen 1926 vor dem Konsum Haßlinghausen (Wilhelm Kraft schaut aus dem Fenster des Konsum)

Für einen Zugewanderten außerordentlich schnell beteiligte sich Wilhelm Kraft aktiv am politischen Leben in seiner Gemeinde:

  • Seit 1910 war er als Gemeindeverordneter (eine Art Ratsherr) der Gemeinde Haßlinghausen tätig: Der Glasschleifer Wilhelm Kraft wurde nach den Gemeindevertreterwahlen vom 24. November 1909 vom Amtmann des Amtes Haßlinghausen, von Aster, zum Gemeindeverordneten der Gemeinde Haßlinghausen erklärt. Er war also eine Art Ratsherr, wie man heute sagen würde. Die Zusammensetzung der Gemeinderäte war in dieser Zeit natürlich nicht demokratisch, denn es herrschte ein Dreiklassenwahlrecht; nur zwei von sechs Gemeindeverordeten in Haßlinghausen waren aus Arbeiterkreisen. Erstmals nahm W. Kraft am 2. Juli 1910 als Gemeindeverordneter an einer Gemeinderatssitzung teil.
  • Ab 1919 war Wilhelm Kraft Gemeindevorsteher, etwa unserem heutigen Bürgermeisteramt entsprechend; er blieb Gemeindevorsteher bis zu seinem Rücktritt 1932. Ab 1919 hatten aufgrund des nun demokratischen Wahlrechts in Haßlinghausen die Sozialdemokraten die Mehrheit; die Bevölkerung war ganz überwiegend proletarisch und wählte entsprechend. Die Tätigkeit des Gemeindeverordeten war ehrenamtlich; es ist nicht bekannt, ob damals eine Aufwandsentschädigung gezahlt wurde.
  • Ab 1921 gehörte Kraft zu den (ehrenamtlichen) Beigeordneten des Amtes Haßlinghausen und zu den Vertretern der SPD im Schwelmer Kreistag.

Am 2. Februar 1932 erklärt Wilhelm Kraft seinen Rücktritt vom Amt des Gemeindevorstehers. Diese Stelle bleibt daraufhin bis 1933 vakant (unbesetzt).

Erklärung des Rücktritts vom Amt des Gemeindevorstehers am 02.02.1932

Nach der Machtübernahme Hitlers in Berlin 1933 gelang es auch der hiesigen NSDAP, Haßlinghausen „gleichzuschalten“: Wilhelm Kraft wurde unverzüglich beurlaubt und durch NSDAP-Mandatsträger bzw. willfährige Bürger ersetzt.

Für die Familie Kraft brach nun eine schwere Zeit an. Der bekannte Sozialdemokrat mit dem hohen Ansehen in der Bevölkerung war der Führungsschicht ein Dorn im Auge.

Die Konsumgenossenschaft, mittlerweile als „Bergische Lebensmittel GmbH“ entpolitisiert und regimetreu, entließ ihren Haßlinghauser Filialleiter. Am 8. Juni 1934 wurde Krafts Sohn Karl, inzwischen selbst Familienvater, verhaftet, am 25. Juni Wilhelm Kraft selbst. Vater und Sohn saßen zunächst im Gerichtsgefängnis Dortmund ein. Beschuldigt wurden sie, „das hochverräterische Unternehmen, die Verfassung des Deutschen Reiches mit Gewalt zu ändern, vorbereitet zu haben“ Am 16. März 1935 begann der Prozess, geführt von der Generalstaatsanwaltschaft Hamm. Gemeinsam mit Wilhelm und Karl Kraft wurden 44 Männer und Frauen aus Düsseldorf, Linderhausen, Gevelsberg und Haßlinghausen des Hochverrats angeklagt. Überwiegend als Mitglieder der verbotenen KPD hatten sie Flugblätter gedruckt und verteilt, die sich unter anderem gegen Lohnabbau und für unabhängige Gewerkschaften aussprachen und vor allem zum „Massenkampf gegen den Faschismus“ aufriefen.

Wilhelm Kraft hatte zugegeben, 50 Pfennig für die KPD gespendet und „auch einmal die [KPD-Zeitung] ‚Freiheit‘ für 10 oder 20 Pfennig gekauft zu haben“. Nach Aussagen seiner Tochter war die Geldspende zur Unterstützung für die Familien inhaftierter KPD-Mitglieder vorgesehen. Es reichte aus, Wilhelm Kraft für ein Jahr und 8 Monate hinter Zuchthaus-Gitter zu bringen.

1936 kehrte er nach Haßlinghausen zurück. Ein eigenes Gewerbe anzumelden, wurde ihm untersagt, ebenso die Erlaubnis, den Führerschein zu machen. Gemeinsam mit Alma Löhken, seiner früheren Stellvertreterin aus dem Konsum und unter deren Namen gründete Wilhelm Kraft ein Lebensmittel-Auslieferungsgeschäft in den ehemaligen Konsum-Räumen am Wechtenbruch, später an der Gevelsberger Mittelstraße. Die Fahrten machte Wilhelm Kraft mit einem motorisierten Dreirad, für das er keinen Führerschein benötigte.

Er hätte es besser haben können: Seine Tochter Grete berichtete, dem Vater sei mehrfach die NSDAP-Mitgliedschaft angetragen worden. Mit einem so beliebten und bekannten „Überläufer“ hätten die Nazis an Ansehen und Rückhalt in der Bevölkerung gewonnen und den Prestigegewinn auch entsprechend honoriert. Wilhelm Kraft lehnte dies stets ab; auch das Zuchthaus hatte ihn nicht gebeugt. Ein ehemaliger Hitler-Junge erinnert sich noch 1995 daran, dass Wilhelm Kraft das Vorbeimarschieren des militärischen Nachwuchses mit der gereckten Faust kommentierte, dem alten Gruß der Arbeiterbewegung.

Als dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 eine Verhaftungswelle im Rahmen der Aktion „Gewitter“ folgte, wurde der unbotmäßige Sozialdemokrat, mittlerweile 60 Jahre alt, erneut verhaftet und mit ihm einige andere ehemalige Kreis- und Gemeindevertreter der SPD und KPD aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis. Seiner Familie konnte Kraft nun kein Lebenszeichen mehr zukommen lassen.

Der Gevelsberger Erwin Schweinsberg berichtete später von seiner Begegnung mit Wilhelm Kraft im Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen bei Berlin. Kraft war also dort inhaftiert. Und schriftliche Quellen belegen, dass er dort im Januar 1945 in der Krankenstation war.

Vor der anrückenden Front im Frühjahr 1945 wurde das Lager teilweise geräumt. Ab dem 20. April trieb die SS die entkräfteten Häftlinge in einem Todesmarsch vor sich her. „Im Wald von Bele“, so erinnerte sich Schweinsberg, „wurden Hunderte von Kranke, die nicht mehr weiterkonnten, erschossen. Auf diese Weise sind die beiden SPD-Genossen Peter Alfs aus Ennepetal-Milspe und Wilhelm Kraft aus Haßlinghausen ums Leben gekommen.“

Da Wilhelm Krafts Ermordung nur durch den Zeitzeugen aus Gevelsberg belegt ist, wurde er wie viele andere auch, über die es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, nachträglich zum Tag des Kriegsendes, dem 8. Mai 1945, für tot erklärt.

Seine Kinder haben nach dem Krieg Wilhelm Krafts Wirken fortgesetzt: Karl Kraft war Gemeindebürgermeister in Haßlinghausen von 1959-1969, Grete Roland langjähriges Mitglied in Gemeinderat und Amtsvertretung Haßlinghausen sowie im Rat der Stadt Sprockhövel.